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Tote Mädchen lügen nicht - Staffel 1

Originaltitel: 13 Reasons Why
Genre: Drama
Regie: Tom McCarthy • Helen Shaver • u.m.
Hauptdarsteller: Dylan Minnette • Katherine Langford
Label: Netflix

Tote Mädchen lügen nicht - Staffel 1   22.04.2017 von LorD Avenger

Hannah Baker, eine Highschool-Schülerin, begeht Selbstmord und versetzt damit ihr gesamtes Umfeld in Schock und Fassungslosigkeit. Zwei Wochen nach diesem Ereignis erhält ihr Mitschüler Clay einen Schuhkarton mit einem halben Dutzend Audiokassetten, die er der Reihe nach hören soll. Auf jeder davon hat Hannah ihre Geschichte festgehalten...

 

Tote Mädchen lügen nicht, bzw. viel treffender mit dem Originaltitel 13 Reasons Why, basiert auf einem zehn Jahre alten Buch mit einem Thema, das die meisten nicht anzufassen wagen. Der englische Titel ist gerade so treffend, weil jede der 13 Folgen der ersten Staffel eine der 13 Kassettenseiten und somit auch einen der 13 Gründe behandelt, die Hannah Baker in den Selbstmord getrieben haben. Ursprünglich sollte die Geschichte in Filmform produziert werden, als Universal Studios 2011 die Rechte erworben und Selena Gomez in die Hauptrolle der Hannah stecken wollte. Glücklicherweise kam es nicht dazu und Netflix übernahm diese Aufgabe Ende 2015 mit Gomez lediglich in einer Produzentenrolle sowie mit einer Serienvariation. "Glücklicherweise" nicht nur wegen der Versetzung von Selena Gomez, sondern auch wegen dem Mut zu schockieren, der den typischen Hollywood-Studios bei ihren Produktionen für die breite Masse meist fehlt. Und diese Serie traut sich einiges.

 

Die Idee einer Toten, die aus dem Off ihre Geschichte erzählt, ist nichts Neues - obgleich nicht aus dem Grab heraus mit den noch lebenden Protagonisten gesprochen wurde, ging es doch in Desperate Housewives ähnlich zu. Dass dem Ableben allerdings kein Mord, sondern Suizid zugrunde liegt und dass das Opfer (bzw. der Täter?) durch Audiokassetten mit der Welt der Lebenden spricht, in einer Zeit, in der selbst Vinylplatten wieder angesagter sind als selbst CDs... das ist zumindest mir so noch nicht untergekommen.

Hannah Baker hatte in ihrem Highschool-Leben absolut kein Glück und wurde immer und immer wieder von Leuten enttäuscht, denen sie mit zunehmend schwerem Herzen neues Vertrauen entgegenbrachte. Angefangen mit ihrem Ruf nahmen darauf folgend auch ihr Wesen und ihre Psyche starken Schaden und hauptverantwortlich dafür zeigen sich die 13 Personen, die nach ihrem Tod reihum die bespielten Tapes erhalten und sie anschließend an den nächsten weitergeben sollen, da ansonsten Kopien öffentlich gemacht werden. Jeder der 13 Personen weiß, was er getan hat - vor allem, was er oder sie Hannah angetan hat und wie ihr jeweiliges Geheimnis Mitschuld am tragischen Selbstmord trägt. Diese Story-Idee alleine finde ich bereits großartig und geradezu perfekt für eine Serienumsetzung, noch spannender macht es allerdings der Umstand, dass jeder nicht nur das für ihn bestimmte Band erhält, sondern jeder alle. Die so unterschiedlichen Charaktere, die ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen und sich ihre Mitschuld nicht eingestehen wollten, sehen sich nun einem Dutzend anderer Jugendlicher gegenübergestellt, die genauso alles über sie selbst wissen wie auch anders herum. Und inmitten davon der leidende Clay, der nicht fassen kann, was er auf den Kassetten hört und sich nicht erklären kann, warum er den Schuhkarton überhaupt erhalten hat.

 

Die Charaktere sind ein weiterer ganz starker Punkt der Serie. Bei so vielen zentralen Charakteren ist es wohl reichlich schwer eine Punktlandung hinzulegen, aber jeder einzelne ist schlichtweg hervorragend gecastet worden. Man kauft allen ihre Rolle ab, empfindet Sympathie für die einen und Mitleid, Abscheu oder Verachtung für die anderen... sprich, es kochen waschechte Emotionen in einem hoch. Knackpunkt ist hier wirklich die starke Unterschiedlichkeit. Eventuell muss man sich hier näher mit dem Thema Mobbing auseinandersetzen oder doch zumindest das halbstündige Making Of ansehen, dass Netflix automatisch in der Playlist im Anschluss ans Staffelfinale abspielt. Die Produzenten, Darsteller und Psychologen dort erklären die verschiedenen Arten von Mobbing und das teilweise nur schwer nachvollziehbare Verhalten von Teenagern, die offenbar auch aus biologischen Gründen in ihrem Alter gewisse Dinge als endgültig und ausweglos betrachten. All das spiegelt sich auch gekonnt unter den Charakteren der Serie wieder. Wir haben die klassischen Sportlerproleten, die hier allerdings nicht facettenlos dargestellt werden wie die Cliquen in Teeniekomödien, sondern jeder für sich anders ist, wenn man ihn näher betrachten darf. Ein Basketballer, der mit unvorteilhaften Fotos in seiner kleinen Gruppe von Jungs angeben möchte, ein anderer, der es ihm unter Protest aus der Hand reißt und an die gesamte Schule verschickt. Ein Schülerratsvorsitzender, der eine glänzende Zukunft vor sich hat, sich nur leider nicht entsprechend verhält. Eine Cheerleaderin, die mehr Angst vor ihrem Vater als vor ihrem Gewissen hat... So viele verschiedene Gründe und Ursachen für direktes und indirektes Mobbing, für Vernachlässigung und für Grausamkeit.

 

Nicht erst im Making Of wird klar, dass die Macher der Serie die Zuschauer eiskalt mit diesen Thematiken konfrontieren wollten. Besonders deutlich wird das in den drei Folgen, die sogar mit einem Warnhinweis beginnen, dass heftige Bilder folgen würden. Und selbst mir als altem abgebrühten Cineasten sind dabei die Augen groß geworden und ein unangenehmes Gefühl durchfuhr mich von Haaransatz bis zur Zehenspitze - genau das, was die Regisseure und Produzenten mit den unverblümten und ungekürzten Darstellungen von heftigen sexuellen Übergriffen und Selbstmorden bezwecken wollten. Und gerade hier auch wieder mein großes Kompliment an den gesamten Cast - einen überzeugenden Highschool-Sportler zu spielen ist eine Sache, aber die resignierten glasigen Augen darzustellen, die den Zuschauer wirklich glauben lassen, dass dort gerade eine herzensgute Seele stirbt, ist eine ganz andere Hausnummer.

 

Aus all diesen Gründen gibt es jetzt auch die hohe Wertung, obgleich die Serie natürlich ein paar Schwächen hat. Zum einen sind die Folgen mit bis zu einer Stunde schon verdammt lang und gut bei der Hälfte macht sich das zumindest auch bemerkbar. Zum anderen wechseln Gegenwart und Flashback immer wieder miteinander, verschmelzen teilweise oder sind auch noch mit Illusionen durchflochten, die einen zunehmend verwirren und es schwer machen, sich zeitlich zu orientieren. Abhilfe wird damit geschaffen, dass Clay sich gleich zu Beginn der Serie in deren Gegenwart schwer am Kopf verletzt und den Rest der Staffel mit einer groben Kopfwunde herumläuft, aber selbst so fällt es einem zeitweise etwas schwer. Und letztlich: Clay. Man muss ihn dafür lieben, dass er der Einzige unter den dutzend auf den Tapes Beschuldigten ist, der Gerechtigkeit will, der allem auf den Grund gehen und Hannahs unausgesprochenen Willen erfüllen möchte. Aber nicht nur einmal wird er sogar schon von den anderen Charakteren darauf angesprochen, dass er ewig zum Durchhören der Kassetten braucht und nach jeder einzelnen Seite läuft er fingerzeigend umher ohne das gesamte Bild zu kennen und vor allem ohne seinen eigenen Part angehört zu haben...

 

Das schließliche Ende ist übrigens schwer zu bewerten. Da ich die Buchvorlage noch nicht kenne, kann ich auch nicht beurteilen, wie nah man sich hier ans Original gehalten hat, aber es hat für mich fast den Anschein, als hätte man extra so viele Fragen offen gelassen, um eine zweite Staffel zu ermöglichen - was absolut und überhaupt keinen Sinn machen würde.

 

Episodenliste:

 

  • Episode 01 - Kassette 1, Seite A
  • Episode 02 - Kassette 1, Seite B
  • Episode 03 - Kassette 2, Seite A
  • Episode 04 - Kassette 2, Seite B
  • Episode 05 - Kassette 3, Seite A
  • Episode 06 - Kassette 3, Seite B
  • Episode 07 - Kassette 4, Seite A
  • Episode 08 - Kassette 4, Seite B
  • Episode 09 - Kassette 5, Seite A
  • Episode 10 - Kassette 5, Seite B
  • Episode 11 - Kassette 6, Seite A
  • Episode 12 - Kassette 6, Seite B
  • Episode 13 - Kassette 7, Seite A

Das Fazit von: LorD Avenger

 LorD Avenger

Für 13 Reasons Why gibt es ebenso mindestens 13 starke Gründe zum Anschauen. Großartige Darsteller mit tiefgründigen facettenreichen Charakteren, eine spannende Story auf einem fantastischen Gerüst aus Audiokassetten und verdammt starke Bilder, die unumgänglich zum Denken anregen. Eine schwierige Thematik wurde hier wirklich hervorragend umgesetzt und beleuchtet sämtliche Facetten von Mobbing, Suizid und dem Teenager-Alltag allgemein. Und - entgegen mancher Kritiken - zeigt es auch, was man als betroffener Jugendlicher besser und anders machen kann, um auch andere Auswege zu finden. Die Suizid-Hotlines Brasiliens verbuchten durch die Serie übrigens eine hundertprozentige Zunahme von Anrufen - Wirkung hat die Geschichte also nicht nur auf Unbeteiligte Zuschauer gehabt.


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