Vor knapp eineinhalb Jahren hat SuckerPunch mit inFamous zum ersten Mal den Moralischen raushängen lassen. Cole McGrath war schon damals eine coole Sau, der nach bester Megavolt-Manier (na, wer kennt ihn noch?) nach Herzenslust grillte. Jetzt kam mit inFamous 2 (IF2) die Fortsetzung auf den Markt und macht genau da weiter, wo der erste Teil mit einem relativ offenen Ende aufgehört hat.
Ja, wirklich genau da. Nur einen Monat nach den Ereignissen von IF1, stiefelt ein gigantisches Balrog-ähnliches Monster auf Empire City zu und Cole - ganz der strahlende Held - gibt den Gandalf. Fulminant wird losgebrutzelt, was die Batterien hergeben, doch es reicht trotzdem nicht und Cole muss fliehen. Begleitet wird er von seinem Kumpel Zeke und einer ominösen CIA-Agentin namens Kuo. Das Ziel der Reise heißt New Marais und ist im Süden der USA angesiedelt. Orientierte sich Empire City noch an New York, ist New Marais eher New Orleans nachempfunden. Sümpfe, viele Kirchen, Hillbillys und natürlich Banjos stehen auf der Tageskarte, die Cole wohl oder übel von oben nach unten und zurück bestellen muss.
Die Hillbillys, eigentlich die städtische Miliz, werden von Joseph Bertrand angeführt, welcher echt was gegen den „Dämon“ Cole hat und ihn mit allen Mitteln erledigen will. Zum Reigen der tödlichen Gefahren gesellen sich noch eine unheilbare Seuche, inflationär eingeführte Monsterhorden, sowie noch einige weitere Mutanten mit ähnlichen Fähigkeiten, wie die von Cole. Ach ja, das bis dato unbesiegte Biest pflügt selbstverständlich auch seinen Weg nach New Marais. Viel zu tun für den Elektromann. Also auf an die Ladestation: Es ist GRILLSAISON!
Das Erste, was positiv auffällt - sofern man den ersten Teil gespielt hat - ist, dass Cole noch über fast alle Kräfte verfügt und diese auch nicht verliert. Granaten, Schockwellen, Hover-Fähigkeit, alles noch da und kann dauerhaft eingesetzt werden. Sofern man natürlich die entsprechenden Stromquellen findet. Denn wie auch im ersten Teil, ist Cole kein Perpetuum mobile und braucht ständig Energienachschub, den er aus allem ziehen kann, was irgendwie elektrifiziert ist. Da aber in New Marais der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, hängt nur noch einer von drei Stadtteilen an der Stromversorgung und somit sind die anderen beiden verbotene Pflaster für Stromjunkie Cole. Wie schon in IF1 werden diese Gebiete storytechnisch nach und nach ans Kraftwerk gebracht und so der Zugang ermöglicht. Bei sich selbst geklaut, aber dennoch gut gelöst, da man zwar die anderen Stadtteile betreten kann, dort aber nicht lange überleben wird.
Wie dieses System wurden auch so manch andere Elemente aus dem ersten Teil übernommen. Das Moralsystem zum Beispiel findet sich auch hier wieder. Zu vielen Gelegenheiten kann sich Cole Gedanken darüber machen, ob er der Heilsbringer oder Todbringer sein möchte, was sein Karma entweder in Richtung Gut oder Böse verschiebt und, zumindest im Falle einer Schurkenkarriere, die Bevölkerung aufhetzt, die dann mit allerhand stumpfen Gegenständen wirft. Dies beeinflusst zum einen die Zwischensequenzen, wie auch die Möglichkeit, neue Kräfte zu erlangen. Denn im Laufe der Zeit ist es Cole gestattet nicht nur auf Strom, sondern auch, je nach Gesinnung, auf Feuer- oder Eis-Kräfte zurückzugreifen. Schade ist allerdings, dass man seine Entscheidungen brühwarm vorgekaut bekommt. Im ersten Teil brauchte man zwar auch keinen Doktor in Psychologie, um zu erkennen, was gut oder schlecht ist, hier jedoch wird alles markiert, sodass man als rechtschaffener Christ oder Bomben legender Terrorist ja keine Fehlentscheidungen trifft. Die neuen Kräfte jedoch sind eine sehr interessante Neuerung, da sie zum einen sehr hübsch anzusehen sind und zum anderen richtig durchschlagende Argumente sind. Klar, viel Feind, viel Ehr‘, doch mehr Feuerkraft kann nie schaden. Auch das Geturne hat Cole nicht verlernt. Wie Spiderman auf Crack, klebt Cole an allem, was wie ein Vorsprung aussieht. Fenstersims, Erker, Kanten, ja sogar Fugen, überall findet er Halt. Da eine sehr hohe Toleranz herrscht, was die Akrobatik angeht, ist es fast schon zu einfach, sich auf Häuserdächer zu schwingen. Man ertappt sich oft dabei, dass es bequemer ist, aufs Dach zu klettern und herunterzuspringen, anstatt einfach außen herumzulaufen. Ärgerlich jedoch ist, dass Cole sich häufig festhält, obwohl er es nicht soll. Mehr als einmal wird es vorkommen, dass man im Eifer des Gefechts versucht, sich über die Dachrinne zu retten. Doch anstatt zu fallen, hält sich Cole fest, nur um kurz darauf doch wie ein durchsiebter Sack tot von Dach zu stürzen.
Abseits der interessanten Story kann und sollte man sich die Zeit auch damit vertreiben, Blast Shards zu suchen, da diese, wie auch schon im ersten Teil, Coles Kapazität erhöhen. Und da die Gegnermasse und –stärke kontinuierlich zunimmt, ist es ratsam, sich diese geladenen Metallpflöcke ins Herz zu jagen, jedoch keine Pflicht. Wer daran interessiert ist, sich zusätzlich noch das Leben schwer zu machen, lässt sie einfach liegen. Neben den Blast Shards, den Splittern, gibt es noch die Blast Cores, welche Cole zum einen neue Stromkräfte verleihen, aber auch zum anderen die Möglichkeit bieten, ein mysteriöses Aggregat zu betreiben, welches dem Biest den Saft abdrehen soll. Von den Cores gibt es aber nur sechs Stück und wie schon das Pokemon-Prinzip besagt: Fang sie alle!
Auch die aus dem ersten Teil bekannten Dead Drops sind wieder da, und dieses Mal an die Ratten der Lüfte gekettet. Für jede Nachricht also muss PETA erzürnt werden, da ein Tieropfer erforderlich ist. Diese Dead Drops erzählen die Hintergründe der Story und lassen so manches Geschehnis in einem anderen Licht erscheinen. Ist die Hauptgeschichte schon spannend erzählt, wird hier noch einmal gut nachgewürzt, vor allem weil man selbst entscheiden kann, wie viel Hintergrund gut fürs Gewissen ist.
Kein Open World Game kommt ohne Nebenmissionen aus, und so ist es auch hier. Zwischen der Storyline gibt es eine Vielzahl an Nebenquests. Geiselbefreiung, nervende Straßenmusiker erlegen, Bomben entschärfen, Feindeslager ausräuchern und noch einiges mehr halten Cole auf Trab. Größte Neuerung ist der mächtige Missions-Editor. Dieser erlaubt es, eigene Quests zu erstellen, welche dann direkt ins Spiel eingebunden werden. Anders eingefärbt befinden sich diese dann auf der Karte und können direkt, ohne den Modus zu wechseln, gespielt werden. Sehr interessantes Gimmick, welches intelligent eingebaut wurde. Leider bieten die Side-Quests auf Dauer wenig Abwechslung und verkommen nach und nach zur Fleißarbeit, die Cole einige Kilometer durch die Stadt abreißen lassen. Hier hätte mehr Abwechslung gut getan. Vor allem, weil manche Missionen einfach eins zu eins kopiert werden.
Die Hauptmissionen in Gegensatz dazu sind gewohnt gut geraten. Mögen sie zu Beginn noch etwas öde erscheinen, dreht die Handlung im Spielverlauf gut auf und man spielt mehr als einmal mit dem Gedanken, das ganze unnötige Gedöns einfach liegen zu lassen, damit man die Story weiter verfolgen kann. Neue Charaktere schütteln einem das Handgelenk, wie zum Beispiel Nix, eine Feuermutantin, die die böse Seite der Macht symbolisiert und Cole ständig dazu anhalten will, schlimme Dinge zu tun. Wie auch Kuo zählt sie dann zu Coles Begleiterinnen und symbolisiert das Teufelchen auf Coles Schultern, derweil Kuo die andere Hälfte mit Harfe darstellt. Zwar erfährt man über beide einige Hintergründe, doch insgesamt bleiben die zwei Mädels zu flach. Charaktermäßig versteht sich.
Zudem wirken beide zu stark polarisierend. Die eine will nur Gutes, kennt weder Hass noch Wut oder Vergeltungsdrang, wohingegen das Feuerteufelchen keinen Funken Mitgefühl oder Empathie durchblicken lässt. Netter Ansatz, doch leider nicht konsequent zu Ende gedacht.
Zudem will ab der Hälfte der zweiten Insel nämlich Gott und die Welt Cole ans Leder. Doch die einzelnen Fraktionen bekriegen sich untereinander und es kann schon mal zu einer Straßenschlacht monumentalen Ausmaßes ausarten, wenn sich die Miliz 30 Mann stark mit Hubschrauber gegen Rebellen, Monster und andere Mutanten kloppen. Stößt man dann noch aus dem zwanzigsten Stock mit einem Donnerschlag hinzu, ist der Krieg perfekt. Wunderbar! Natürlich kann man sich über mangelnden Anspruch beschweren oder den maßlosen Einsatz überbordender Action, aber wer will das schon bei einem Actionspiel. Über die Hirnlosigkeit eines Crank oder Expendables meckert auch keiner, der nicht gerade die Verfilmung der Zauberflöte erwartet hat.
Normalerweise beginne ich hier mit der Optik, aber das muss jetzt sein. Cole hat eine neue englische Synchronstimme! Wo ist die verrauchte „Coole-Sau-Stimme“ aus dem ersten Teil? Ja, es wurde der Sprecher gewechselt. Es mag dafür auch Gründe geben, aber so gut und bekannt die neue Stimme auch ist, sie erreicht niemals die Atmosphäre der Vertonung des ersten Teils. In IF1 war Cole der überzeugte Antiheld, der aus Versehen Superkräfte erlangte und alle dann ungebeten ihre Probleme auf ihm abluden. Und das konnte man hören. Angepisst, grimmig, ein echter Enkelschreck. Davon ist leider ganz wenig geblieben. Na gut, genug gemosert, der Sound an sich ist toll. Der Banjo Sound lädt zum Wippen und Strohhalmkauen ein, die Soundeffekte rund um Blitz, Donner, Explosionen, Flammen und dem ganzen anderen zerstörerischen Kram hämmern gepflegt aus den Boxen und wissen zu überzeugen. Auch die anderen Stimmen machen ihren Job ja ganz ordentlich. Nur nicht die Deutschen. Tut euch selbst einen Gefallen und stellt die Sprache auf Englisch, bevor ihr beginnt. Glaubt mir, ich will nur euer Bestes. Wirklich keine der deutschen Synchronsprecher weiß zu überzeugen. Fast kommt es vor, als lese ein schläfriger Dozent eine Abhandlung über Pressspanherstellung in Südost-Anatolien.
So, jetzt zur Grafik. Hier gibt’s nix zu bemängeln. Eine adäquate Verbesserung zum ersten Teil. Mehr Polygone, schärfere Texturen, schönere Lichteffekte und hübscheres Wasser. Zudem noch eine abwechslungsreichere Location und die neuen Kräfte zaubern ein hübsches Feuerwerk auf die Netzhaut. Es sieht nicht perfekt aus und kann bei Weitem nicht mit einem Crysis 2 oder Battlefield 3 konkurrieren, aber es wirkt stimmig, wie schon der erste Teil, wenn auch nicht mehr ganz so düster. Wer brennende Autos mithilfe eines Ionensturms gegen Mörser-Stellungen und Eismutanten schleudert, weiß, wovon ich spreche.
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