Aphasie

Aphasie

Originaltitel: Aphasie
Genre: Drama
Regie: Dominik Balkow
Hauptdarsteller: André Lewski • Sandra Tirre • Hannah Prasse
Laufzeit: Streaming (93 Min)
Label: Cornelsen Films / Riot City Entertainment

Aphasie   11.11.2022 von MarS

Nach drei bemerkenswerten Kurzfilmen - die über 60 Musikvideos einmal ganz außer Acht gelassen - war es für den deutschen Filmemacher Dominik Balkow ebenso konsequent wie logisch, den nächsten großen Schritt zu wagen. Mit Aphasie präsentiert er nun seinen Spielfilmdebüt, das auf den 56. internationalen Hofer Filmtagen Weltpremiere feierte...

 

Inhalt

 

Längst haben sich die Geschwister Cosmo (André Lewski) und Carmen (Sandra Tirre) voneinander entfremdet, und führen ihre eigenen Leben. Ihr seit zehn Jahren spurlos verschwundener Vater zwingt die beiden allerdings dazu, sich noch einmal im früheren Familienanwesen zu treffen. Während die Therapeutin Carmen jedoch hofft, alte Traumata aufzuarbeiten, will Cosmo, der mit seiner Freundin Marie (Hannah Prasse) angereist ist, den Ort seiner Vergangenheit schnellstmöglich wieder verlassen. Als Carmen jedoch Marie eine Paartherapie vorschlägt, nachdem sie offensichtliche Probleme in der Partnerschaft ihres Bruders erkannt hat, willigt Cosmos Freundin ein, noch länger auf dem Anwesen zu bleiben. Während sich zwischen den Dreien immer mehr Spannungen aufbauen, scheint der neue Hausbewohner Heins (Heiko Pinkowski) diese sogar noch weiter anzufeuern...

 

Apha·sie
/Aphasié/
 

Substantiv, feminin [die]

MEDIZIN

Verlust des Sprechvermögens oder Sprachverstehens infolge einer Erkrankung des Sprachzentrums im Gehirn

PHILOSOPHIE

Enthaltung des Urteils in Bezug auf Dinge, über die nichts Sicheres bekannt ist

 

So viel zur begrifflichen Definition des Filmtitels, der einen ersten Ausblick auf den Inhalt des Spielfilmdebüts von Dominik Balkow liefert. Balkow konkretisiert im Verlauf seines Langfilmdebüts allerdings nicht die klassische Aphasie per se, sondern überträgt sowohl die Definition des medizinischen Krankheitsbilds, wie auch den philosophischen Aspekt, auf die Allgemeinheit. Macht aus der Aphasie eine Krankheit der Gesellschaft, eine Aphasie, mit der sich jeder identifizieren kann. Die Unfähigkeit, über Probleme, Ängste und Sorgen, aber auch Wünsche und Sehnsüchte zu sprechen. Ebenso thematisiert Aphasie aber auch die Folgen, zu welchen eben dieses in sich zurückgezogene Leben führen kann, die Konsequenzen, die daraus entstehen können, ebenso wie die Schwierigkeiten, die sich dadurch nicht nur für einen persönlich, sondern auch für das Umfeld ergeben können. Gesellschaftliche Aphasie, die es einem leichter macht, über andere zu sprechen, als sich mit sich selbst befassen zu müssen. Die ab einem gewissen Stadium sogar Auslöser dafür ist, andere zu manipulieren und in eine bestimmte Richtung zu lenken, um dadurch von sich selbst abzulenken.

 

Etwas schwierig gestaltet sich dadurch der Einstieg in die Geschichte, wenn Aphasie zunächst sehr minimalistisch voranschreitet und dabei nur das Allernötigste über die Figuren oder die Handlung offenbart. Der Zuschauer wird damit absichtlich und ohne Rücksicht ins kalte Wasser geworfen. Dies ändert sich allerdings schlagartig, wenn man schließlich irgendwann den Punkt erreicht, an dem man sich selbst in der Erzählung wiedererkennt, und bemerkt, dass Unausgesprochenes und unterdrückte Gefühle für Unverständnis und Missverständnisse sorgen. Mit der sich langsam steigernden Dynamik zwischen den beteiligten Figuren erhöhen sich schließlich auch die Spannungen innerhalb der Gruppe, und damit ebenso die durchwegs von wortloser Aggression, Misstrauen und Angst vor Enthüllungen geschwängerte Atmosphäre. Man spürt in jedem Moment, dass hier viele Geheimnisse in der Luft liegen, und vieles unausgesprochen bleibt. Auch wird deutlich, dass die wenigen Dinge, die tatsächlich Gesprächsthema werden, nur oberflächlich behandelt werden, oder nur dazu dienen, überhaupt einen Dialog zu eröffnen, ohne dass dabei jedoch tatsächlich etwas Wichtiges gesagt wird. Ebenso spürt man, dass die sich stetig intensivierenden Spannungen zwischen den Figuren irgendwann auf die ein oder andere Art entladen müssen. All das geschieht jedoch sehr subtil und zurückhaltend, zunächst auch ohne größere Ausbrüche aus den eingefahrenen Bahnen der Beteiligten, ebenso wenig wie die Erzählung überhaupt allzu viel offenbart. Beziehungen und das Miteinander stehen hier jedoch stets im Mittelpunkt, und gerade durch das, was hier nicht gesagt oder getan wird, erzielt Aphasie am Ende seine Wirkung beim Zuschauer:

 

Darüber nachzudenken, ob man selbst überhaupt in der Lage ist, seine Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte offen auszusprechen, oder sich ebenfalls bereits ein eigenes Konstrukt aus Unausgesprochenem und Geheimnissen gebaut hat, aus dem ein Entkommen mit der Zeit immer schwieriger zu werden scheint.

 

Bildergalerie von Aphasie (6 Bilder)

Bild- und Tonqualität bleiben auf Grund des uns vorliegenden Presse-Screeners ohne Bewertung. Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle jedoch die hervorragende Kameraarbeit von Anne Lindemann, die stets die perfekte Einstellung findet, um das Geschehen auch visuell zu intensivieren, ebenso wie der bemerkenswert atmosphärische, stets großartig abgestimmte Score von René Schostak und Bernd Wendlandt.



Cover & Bilder © Cornelsen Films & Dominik Balkow


Das Fazit von: MarS

MarS

Bereits Dominik Balkows Kurzfilme beschäftigten sich mit ernsten, oftmals unangenehmen Themengebieten. Mit Aphasie wird dies nun konsequent weiter fortgeführt. Aphasie ist ein starkes, intensives, aber auch sehr anspruchsvolles Werk, das den Zuschauer regelrecht herausfordert. Wahrlich kein simpler Unterhaltungsfilm, sondern einer, der den Zuschauer mit Nachdruck dazu nötigt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Was am Ende bleibt, das ist eine simple Aussage: Beschäftigt Euch bewusster mit Euch selbst, und vor allem, redet miteinander. Einen Einstieg zu Diskussionen und Gesprächen liefert Euch jedenfalls Aphasie, dessen anfängliche Ruhe und Distanz sich für jeden Zuschauer an einem anderen Punkt des Geschehens in Erkenntnis und Selbstreflexion wandelt, und dabei spätestens im letzten Drittel einen - zumindest kurzzeitigen - Schockzustand hinterlässt, wenn fallende Hüllen symbolisch für den Fall des selbst auferlegten Mantels des Schweigens eingesetzt werden. Schwere Kost, und weder inhaltlich noch erzählerisch ein Werk für die breite Masse. Erneut ein mutiger Schritt von Dominik Balkow, sich sogar beim eigenen Langfilmdebüt so treu zu bleiben, und konsequent schwierige Themen aufzugreifen.


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