Holy Spider
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BEWERTUNG |
07.07.2023 von Dan DeMento
Auszeichnungen von Festivals auf der ganzen Welt, darunter der deutsche Filmpreis, Premiere in Cannes - trotzdem lief der iranische Thriller Holy Spider hierzulande eher unter dem Radar. Wir verraten euch, ob wir hoffen, dass sich das mit der Heimkino-Auswertung des neuen Streichs von Border-Regisseur Ali Abbasi jetzt ändert.
Inhalt:
Zehn Opfer in sechs Monaten, so sieht die bisherige Bilanz des von der Presse "Spinnenmörder" getauften Saeed (Mehdi Bajestani) aus, der in Maschhad, der heiligsten Stadt des Iran reihenweise Prostituierte ermordet. Als die aus Teheran stammende Journalistin Arezu (Zar Amir Ebrahimi) in die Stadt kommt, um sich mit dem Fall zu befassen, entsteht bei ihr sehr schnell der Eindruck, die Polizei habe gar kein allzu großes Interesse daran, den Mann zu fassen, der nach eigener Aussage die Stadt vor der Sittenlosigkeit säubert. Also ermittelt sie auf eigene Faust weiter - und kommt dem Mörder damit näher als ihr lieb ist.
Kurz sorgte Holy Spider international für Aufsehen, als er nicht nur seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes feierte, sondern Hauptdarstellerin Zar Amir Ebrahimi auch den Preis als beste Schauspielerin einfahren konnte. Doch ein paar Monate später, mit dem deutschen Kinostart, war der Thriller schon wieder ziemlich in der Versenkung verschwunden. Zu weit weg erschien offenbar das Thema eines religiös motivierten Frauenmörders im Nahen Osten dem westlichen Publikum.
Wie falsch diese Annahme ist, wird jedem Zuschauer, der sich doch auf Holy Spider einlässt, schon in den ersten Minuten klar. Denn in Optik und Erzählweise erinnert der Film eher an Genre-Verwandte wie Zodiac oder Nightcrawler, in seinen weniger angenehmen Momenten sogar an Der goldene Handschuh. Die nächtlichen Einstellungen von Maschhad üben eine große Faszination aus, illustrieren aber auch perfekt die thematisierten Schattenseiten der Stadt.
Denn von diesen gibt es wirklich viele. Neben den Morden ist es vor allem die systemische Unterdrückung der Frau, die dort vollkommen normal ist und der Geschichte selbst mit seiner starken weiblichen Hauptfigur extrem gegenübersteht. In einigen Szenen wird das ganz bewusst inszeniert, doch die unterschwellige Bedrohung oder zumindest Verachtung schwingt auch so permanent mit. So werden die Fragen der Journalistin meist erst beantwortet, wenn ein Mann sie an ihrer Statt stellt und selbst die Polizei bietet mehr Bedrohung als Schutz. Doch bei aller offensichtlicher Kritik am System des Patriarchats und des extremen Einfluss religiöser Führer ist Holy Spider nie plakativ oder belehrend. Fast dokumentarisch zeigt der Film die Begebenheiten und überlässt es dem Zuschauer, sich eine Meinung zu bilden.
Das zieht sich bis zu den ganz wesentlichen Elemanten der Story durch, denn im Gegensatz zum klassischen Whodunit bekommen wir den Täter nicht nur sofort offenbart, sondern nehmen auch an seinem Privatleben teil, sehen also nicht nur den religiösen Fanatiker, sondern auch den Familienvater, Ehemann und Arbeiter. Diesem Ansatz konsequent folgend endet Holy Spider dann auch nicht mit der Verhaftung des Täters, sondern bleibt weiterhin quasi "hinter den Kulissen". Dass der Film sich an wahren Begebenheiten, nämlich einer Mordserie im Jahr 2000 orientiert, trägt zur allgemein beklemmenden Stimmung noch zusätzlich bei.
Und so hinterlässt der Film auch lange nach seinem Finale einen bitteren Beigeschmack. Denn hier folgt nicht das Happy End auf die Verhaftung des Täters, sondern hier werden plötzlich Stimmen laut, die die Freilassung des Mörders fordern und ihn in seiner "Heiligen Mission" unterstützen. Und so bleibt die Frage, wie lange es wohl dauern wird, bis ein Nachahmer auf die Jagd geht und ob sich an dem System im Iran jemals etwas ändern wird.
Gerade bei der Darstellung der Journalistin Arezu Rahimi können Regisseur Ali Abbasi und seine Hauptdarstellerin aus eigenen Erfahrungen schöpfen. Denn während ersterer freiwillig nach Schweden ging, auch um von dort aus frei von den Zuständen in seinem Heimatland erzählen zu können, kam der Umzug nach Frankreich bei Zar Amir Ebrahimi einer Flucht gleich. Nachdem ein angebliches Sex-Video von ihr auftauchte, war nicht nur ihre Schauspiel-Karriere im Iran beendet, sie wurde außerdem - in Abwesenheit - zu 99 Peitschenhieben und zehn Jahren Berufsverbot verurteilt. Fälle wie dieser zeigen also auf sehr deutliche Weise, wie exemplarisch ein Film wie Holy Spider für das System im Iran steht.
Doch auch sämtliche politischen oder religiösen Ebenen ignorierend ist Holy Spider ein dichter, atmosphärischer und extrem gut gefilmter Thriller, der von der ersten bis zur letzten Minute spannend ist. Wer den Film im Kino verpasst hat, sollte ihn jetzt dringend nachholen.
Details der Blu-Ray:
Holy Spider ist ein sehr dunkler Film, er spielt hauptsächlich nachts und in finsteren Ecken. Gerade im Spiel von Schatten und Neonlicht spielt die Blu-Ray ihre Stärken perfekt aus, das Bild ist kontrastreicht, realistisch und ohne Störungen. Dasselbe gilt für den Ton. Während der persische O-Ton mitunter ein wenig dumpf klingt, ist die sehr hochwertige deutsche Synchronfassung - unter anderem mit der aus Türkisch für Anfänger oder SOKO Hamburg bekannten deutsch-iranischen Schauspielerin Pegah Ferydoni in der Hauptrolle - perfekt abgemischt und kommt ausgeglichen aus jeder Ecke des Heimkinos. Das Bonusmaterial liefert zwei Interviews sowie einige Trailer.
Cover & Bilder © AlamodeFilm Das Fazit von: Dan DeMento
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